"LGBTIQ+" Auch ein Thema für christliche Gemeinschaften?

Shownotes

LGBTIQ+ ist ein Kürzel, dass immer wieder im Zusammenhang mit der queeren Community Auftritt und dabei auch mal mit mehr oder weniger Buchstaben auftaucht. In der heutigen Folge hört ihr, was die Buchstaben bedeuten und wieso es das Plus braucht. Nachdem wir uns gefragt haben, wieso queere Themen in die gesellschaftliche Debatte gehören, stellen wir uns heute die Frage, wie das in Kirchen und christlichen Gemeinschaften aussieht. Heute mit dabei ist Michael Braunschweig, der aus seiner Perspektive als Theologe und Kirchenpfleger erklärt, wieso es nicht politisch, sondern christlich ist, sich mit den Lebensrealitäten von queeren Menschen zu beschäftigen und wieso es dabei vor allem viel Geduld beim zuhören braucht. Zum Schluss verrät uns Michael zudem, warum er der Meinung ist, dass vor allem das Thema der geschlechtlichen Vielfalt in Zukunft mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte.

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[0:00] Findet man das jetzt gut oder schlecht? Will man das akzeptieren oder nicht? Das sind gleich moralische oder politische Fragen, oder? Und ich glaube, das ist nicht die Frage, die an erster Stelle kommt, sondern wenn man sich Kirche nennt, muss doch das Interesse am Menschen sein, am einzelnen Menschen. Und die Lebensrealität von Menschen ist halt individuell sehr unterschiedlich. Eigentlich wäre ja wünschenswert, dass wir eine Gemeinschaft bilden können, in der solche Labels keine Rolle mehr spielen.

[0:26] Music. Der heutige Begriff im Queeren 1x1. LGBTIQ+. Beim Begriff LGBTIQ+, handelt es sich um ein englisches Akronym, also eine Abkürzung. Jeder Buchstabe steht für eine sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität. L steht für lesbisch, G für gay, also schwul, B für bisexuell, T für transgeschlechtlich, I für intergeschlechtlich und das Q steht für queer und wird, wie wir in der ersten Folge gehört haben, in der Community oft als Überbegriff verwendet. Das Plus wurde eingeführt, weil irgendwann realisiert wurde, dass es so viele verschiedene sexuelle Anziehungsformen und Geschlechtsidentitäten gibt, dass das alte Kürzel LGB gar nicht alles abdecken kann. Zum LGBTIQ-Plus-Kürzel und der Community gehören alle Personen, die in ihrer sexuellen und oder geschlechtlichen Identität von der gängigen gesellschaftlichen Norm abweichen. Im Bereich der Sexualität gibt es dabei noch eine wichtige Einschränkung. Nur Formen der sexuellen Anziehung, bei der beide bzw. alle Beteiligten ihr Ja geben können, gehören dazu. zu.

[0:26] Das Queere 1x1 Dein Wissens-Podcast rund um LGBTIQ+. Direkt. Ehrlich. Reformiert.

[1:52] Hallo und grüezi im queeren Eimer Leitz. Nachdem wir uns letzte Woche mit der Frage befasst haben, warum queere Themen in unserer Gesellschaft Platz haben sollten, gehen wir heute darauf ein, warum dieses Thema auch für christliche Kirchen wie die reformierte Kirche wichtig ist. Dafür habe ich heute den Zürcher Kirchenpfleger, Theologen und Ethiker Michael Braunschweig eingeladen. Beruflich ist Michael als Postdoctoral Researcher im Projekt Human Reproduction Reloaded H2R engagiert und habilitant am Ethikzentrum der Universität Zürich. Privat hat Michael zwei Kinder mit seinem Mann, mit dem er in einer eingetragenen Partnerschaft lebt. Als Kirchenpfleger setzt sich Michael leidenschaftlich für eine lebendige und vielfältige Kirche ein, die Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Sexualität oder Herkunft willkommen heisst. Er sieht den digitalen Wandel als Chance, die Kommunikation der Kirche zeitgemäß zu gestalten, um in neuen Formaten weitere Räume zu schaffen, in denen Menschen ihren Glauben neu entdecken und leben können.

[2:59] In unserem Gespräch erklärt Michael, was es für ihn bedeutet, wenn unsere Kirche auf der Basis des doppelten Liebesgebots unter Annahme aufgebaut ist, dass alle Mitglieder zum Leib Christi gehören. Dabei ermutigt er nicht nur alle Beteiligten, interessiert aufeinander zuzugehen und sich genau zuzuhören, sondern betont auch, dass queere Menschen nicht eine Minderheit sind, die in der Kirche aus einer Bittstellung handeln müssen, sondern dass sie ein lebendiger Teil der Gemeinschaft sind und das Recht haben, ihre Stimme zu nutzen und die Kirche mitzugestalten. Warum er in der kirchlichen Auseinandersetzung mit LGBTIQ-Themen und Menschen kein politisches Handeln sieht, welche Hoffnungen er für die Zukunft queerer Themen hat und weshalb Michael der Meinung ist, dass vor allem das Thema der geschlechtlichen Vielfalt jetzt

[3:48] angegangen werden sollte, all das hört ihr im Podcast. Auch heute wünsche ich euch wieder viel Spaß und hoffentlich den ein oder anderen Aha-Moment beim Hören des queeren 1x1.

[4:03] Michael, wir sprechen heute über das Thema LGBTIQ in der Kirche. Warum die Kirche sich mit queeren Menschen und queeren Themen beschäftigen sollte. Außer Gesellschaft kommt immer wieder der Vorwurf, die Kirche springt da wieder mal auf den Trend auf. Es geht eigentlich nur um einen PR-Gag. Das ist nicht ernst gemeint oder das ist einfach unnötig. Das ist doch eine kleine Minderheit. Wie stehst du dazu?

[4:27] Ich glaube, es hängt viel davon ab, wie man die Frage formuliert. Du hast ja einleitend gesagt, diese Bezeichnung LGBTIQ plus leitet sich eigentlich aus einer Perspektive der Mehrheitsgesellschaft ab. Also sozusagen umfasst alles, was sozusagen nicht Teil einer, man nennt das ja dann heteronormativen Geschlechterordnung ist. Und das erzählt eigentlich schon sehr viel darüber, dass an dieser Perspektive eigentlich einiges falsch ist. Denn aus Aus einer Perspektive der Kirchenleitung würde ich mal sagen, es ist nicht ein Thema von anderen, mit denen sich eine Mehrheit beschäftigen sollte, sondern das sind Lebensrealitäten von Menschen, die möglicherweise Teil sind einer Kirche, einer religiösen Gemeinschaft, möglicherweise auch nicht. Und dass es sozusagen ein gesellschaftlicher Trend ist, das ist sozusagen einfach das Ausdruck dessen, dass in den letzten Jahren.

[5:18] Jahrzehnten das Bewusstsein dafür in immer weiteren Teilen der Gesellschaft gewachsen ist, ist, dass Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung nicht zwangsläufig und nicht immer einfach nur in der Form Mann-Frau-Kind gelebt wird, sondern dass es andere Realitäten gibt. Und insofern ist das eine Realität von Kirche, also integraler Bestandteil. Und da das ein Thema ist, für das die Sensibilität, die Aufmerksamkeit noch wachsen muss, das Bewusstsein wachsen muss, was die besonderen Herausforderungen sind, dennoch in einer Minderheitenposition zu sein, Deswegen ist es natürlich auch ein Thema für die Kirche oder jetzt für mich, der ja in der Kirchenleitung tätig ist, auch für die Kirchenleitung.

[5:58] In deinem Video als Kirchenpfleger sagst du, dass du für drei L in der Kirche einstehst, nämlich eine lebendige, eine lustige, also auf Deutsch lustmachende im Sinne von Freude bereiten, sonst Lust auf mehr machen und eine liebevolle Kirche. Und du sprichst da auch davon, dass eine lebendige Kirche eben auch diese Vielfalt beinhalten soll. Und zwar die Vielfalt der Geschlechter, der sexuellen Orientierung, auch der theologischen Haltung von konservativ bis liberal, aber Menschen, die vielleicht eher aus dem bürgerlichen Milieu kommen oder konservativere christliche Haltung haben, die würden dann ja vielleicht sagen, ja, aber Homosexualität, das hat in unserer Kirche nichts zu suchen und wir müssen die Kinder schützen oder in Bezug auf geschlechtliche Vielfalt, wir müssen die Jugendlichen schützen davor.

[6:48] Dass sie ihren Körper verändern, weil Gott hat diesen Körper perfekt geschaffen. Also es ist ja gar nicht so einfach, diese Vielfalt dann tatsächlich in der Kirche zuzulassen, auch aus der Kirchenleitung heraus und alle abzuholen. Doch, eigentlich schon, würde ich schon sagen. Also es hängt halt immer davon ab, wie man damit umgeht. Und ich glaube, einerseits zeichnet uns das jetzt in dieser reformierten Tradition aus.

[7:11] Dass wir ja dafür einstehen und Menschen so wahrnehmen, dass sie eigenständige, selbstverantwortliche Individuen sind, mit einer eigenen individuellen Glaubensbiografie und selbst religiös-theologisch mündig sind. Insofern ist es vermessen, aus einer Leitungsperspektive zu behaupten, das eine sei jetzt die theologisch richtige Auffassung und das andere sei falsch. Akzeptanz kann nur wachsen, wenn man die Bereitschaft hat, einander zuzuhören und aufeinander zuzugehen. Und das sage ich jetzt in beide Richtungen. Denn gerade in einer Situation, in der gesellschaftlich das Thema Gender-Identität, wird ja dann häufig apostrophiert unter Gender-Ideologie oder Genderismus, sozusagen Substrat ist, aus dem verschiedene politische Kräfte politisches Kapital schlagen, durch Polarisierung, durch Massnahmen, Volksinitiativen, die der Verwaltung die Verwendung einer Sprache verbieten wollen, die inkludierender ist, als sie es bisher war. Gerade in so einer Konstellation gilt es doch darauf hinzuweisen und aufmerksam zu machen, es geht nicht um Politik, wenn wir aus einer christlichen oder religiösen oder christlichen, wenn man so will, Perspektive miteinander umgehen wollen, sondern darum, wie wir als Menschen miteinander umgehen wollen.

[8:30] Damit sozusagen die Art und Weise, wie wir unsere Gesellschaft gestalten, auch insofern menschlich ist, nicht nur, dass sie von Menschen gemacht ist, sondern dass es auch menschenwürdig ist und alle sich angenommen fühlen können.

[8:44] Ein befreundeter Pastor aus einer Freikirche hat mal gesagt, ja, aber wenn eine Transperson zu mir kommt und mir sagt, hey, das ist mein neuer Name, das sind meine neuen Pronomen, wenn ich das verwende für die Person, dann stimme ich ja ihrem Lebenswandel zu, in Anführungs- und Schlusszeichen. Und das widerspricht ja meiner theologischen Haltung. Quasi sie sagt, es ist nicht menschenwürdig, dass ich anerkenne, dass es Transmenschen gibt, weil das eine Nichtannahme von Gottes Körper ist, den Gott mir geschenkt hat. Und wenn ich das eben nutze, diese Pronomen, dann stimme ich dem zu, was eigentlich gar nicht ist und was vielleicht aus meiner Perspektive dann von Gott auch gar nicht gewollt ist. Und gleichzeitig ist es für die Person selber, die trans ist, ja dann total schwierig, weil sie nicht anerkannt wird in dem. Das ist ja auch so eine Spannung, wo dann die Frage nach, was ist menschenwürdig, irgendwie aufkommt. Also gibt es da quasi ein allgemeingültiges, das ist menschenwürdig?

[9:41] Die Menschenwürde ist ja ein Begriff, der zahlreiche Deutungen oft lässt und deswegen sozusagen nur schwer, ich sage jetzt mal, kodifizierbar ist, sei es nun im Recht kodifizierbar oder moralisch in Prinzipien gegossen werden könnte. Und das Beispiel, das du jetzt nennst, dieses Pastoren, der meint, es sei eine Zustimmung zur Lebensentscheidung, also sofern es dann eine Lebensentscheidung ist, überhaupt eine Entscheidung einer Transgender-Person, dass sie von nun an oder ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr mit, ich sage jetzt mal, er, ihm, sondern sie, ihre angesprochen werden möchte, fußt jetzt aus meiner Perspektive auf ein wenig, ich sage jetzt mal, eigenartigen, anmassenden, vielleicht sogar paternalistischen Auffassung darüber, wie mit Menschen umzugehen ist. Nämlich in der Art und Weise, dass es bestimmte Wahrheiten gibt, die irgendwo überliefert sind, sei es in einem Buch, das kann eine Bibel sein, das kann was anderes sein, oder eine religiöse Tradition, ein Katalog von ethischen Vorschriften, was auch immer. Und daran haben sich die Menschen zu halten, aufbiegen oder brechen. Und das geht sozusagen grundsätzlich entgegen dem, worauf ich vorhin aufmerksam machen wollte, dass es ja darum geht, zumindest in meiner Auffassung dessen, was es bedeutet, ein Leben zu leben.

[10:59] In christlicher Art und Weise zu führen. Bedeutet doch, wenn wir die Texte bei Lukas beispielsweise, beim herzigen Samaritaner, andere Stellen, das Doppelgebot der Liebe, wo es darum geht, aufmerksam zu werden darauf.

[11:14] Wann und wie gerate ich in eine Situation, in der ich von jemand anderem angestoßen werde, mich in meinem Verhalten zu ändern, damit ich sozusagen einem anderen Nächster oder Nächste werden kann. Und insofern würde ich sagen, ja, das ist eine schwierige Haltung, die dieser Pastor da an den Tag legt, zumindest aus einer christlichen Perspektive. Ich würde mir nicht anmassen zu behaupten, das sei falsch. Möglicherweise gibt es gute Gründe dafür. Und darin würde ich behaupten, unterscheide ich mich von diesem Pastoren, den du da so schablonartig ins Feld geführt hast. Weil möglicherweise würde sich in einem Dialog auch zeigen, dass ihr bestimmte Denkvoraussetzungen oder Haltungen habt, die in Lebenserfahrungen gründen, die vielleicht tief verankert sind, die es ihm einfach schwer machen zu akzeptieren, dass die Welt möglicherweise anders ist, als ihr sie sich vorstellt.

[12:09] Spannend war in dem Moment auch, ich habe ihn dann darauf angesprochen, dass er ja mit mir eine Transperson vor sich hat. Er hat mich als Mann kennengelernt. Er spricht mich als Mann an und ich habe ihm gesagt, hey, aber bei mir hast du nie nachgefragt. Du hast nie versucht, mich als Frau anzusprechen. Ist das nicht auch unfair gegenüber einer Transperson, die du schon vorher oder schon länger kennst, die sich dann outet und dann gibt es eine Veränderung, wenn du bei mir...

[12:32] Akzeptierst und bei ihr dir diese Frage stellst, ob das jetzt ethisch okay ist oder nicht. Und was ich aber sehr schön fand in dem Gespräch war, wir mussten beide sehr viel aushalten. Und wir haben dieses Gespräch in großer Liebe geführt. Ich musste mir so wie ein Mantra die ganze Zeit sagen, er meint nicht mich. Er will nicht mich angreifen. Das sind Fragen, die einfach aus seinem tiefen Inneren kommen, die nicht gegen mich sind. Und er musste sich sagen, okay, er findet mich nicht blöd. Er denkt nicht, dass ich ein schlechter Mensch bin. Er verurteilt mich nicht dafür, dass ich von diesen Themen herausgefordert bin. Und das führt ja ein bisschen zu der Frage, wie können wir Brücken bauen zwischen verschiedenen Menschen in unserer Kirche, die vielleicht, ich sage jetzt mal, betroffen in Anführungszeichen sind, davon, dass es Queerfeindlichkeit gibt. Wie gehen wir damit um, dass es Menschen gibt, die selber queer sind in der Kirche? Und wie gehen wir damit um, dass es Menschen gibt, die keine Bezüge zu queeren Themen haben und sich vielleicht auch herausgefordert fühlen davon, die kritisch dem gegenüberstehen? Wie bauen wir da Brücken und wie können wir uns gegenseitig aushalten,

[13:34] ohne dass eine Gruppe zu Schaden kommt dabei. Weil wenn ich in einer Gruppe sitze und das wird einfach über queere Menschen hergezogen, dann ist das wie Schläge gegen mich. Also ich kann da nicht einfach ruhig sitzen und gleichzeitig bringt es ja aber auch nichts, wenn ich dann einen Wutausbruch habe. Also wie schaffen wir diese Begegnungen und dass da eine Annäherung stattfindet, eine Annäherung in Liebe sozusagen?

[14:01] Ja, ich glaube, das ist natürlich eine der grundlegenden Herausforderungen.

[14:04] Und eine der Schwierigkeiten ist ja, dass gerade dieses Thema oder diese Themen zunehmend verwendet werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Und das führt zu einer polarisierten, auch ein wenig vergifteten Gesprächskultur. Es kommt natürlich extrem darauf an, über welche Kanäle so etwas funktioniert. Und da tun uns die vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten, die mit den sozialen Medien in die Welt gekommen sind, ein Bärendienst. Je distanzierter oder je stärker vermittelt Kommunikation stattfindet, desto einfacher ist es, sie zur Polarisierung oder instrumentell zu verwenden, politisch zu verwenden. Und ich glaube, da hilft sozusagen einerseits natürlich das direkte Gespräch, so wie du es jetzt beschrieben hast, darauf hinzuweisen, hey, möglicherweise hast du da Vorannahmen, die gar nicht mit der Lebensrealität von Menschen, die so leben, übereinstimmen. Und möglicherweise ist es hilfreich, ihnen mal zuzuhören, was das eigentlich bedeutet und möglicherweise kannst du dann erkennen, dass das in vielerlei Hinsicht gar nicht so weit weg von dem ist, was du möglicherweise auch selbst schon erlebt hast in deinem Leben. Und auf der anderen Seite, wie du es beschrieben hast, ist es natürlich jedes Mal emotional eine große Herausforderung und eine Last, wenn man sozusagen als, ich sage jetzt, betroffene Person ist.

[15:25] Immer diese Gespräche führen muss und entsprechend verständlich ist es, dass möglicherweise wenig Menschen bereit sind, sich auf solche Gespräche einzulassen, gerade deswegen, weil sie immer wieder Verletzungen erfahren, Unachtsamkeiten, weil sie sich nicht angenommen, respektiert fühlen. Und da, finde ich, gibt es auch eine gewisse Verantwortung von Nicht-Betroffenen, die aber Gehör haben für diese Anliegen. Da sozusagen sich zu verbünden zu machen

[15:53] von Betroffenen und diese Themen auch aufs Tapet zu bringen. Du hast ja eingangs gefragt, gibt es auch eine Verantwortung der Kirche gegenüber diesen Menschen im Sinne der Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft, oder? Und wenn man es so liest, dann würde ich sagen, ja, selbstverständlich. Gerade diese Anwaltschaft, die Stimme zu verstärken, Selbststimme zu geben und darauf hinzuweisen, dass das nicht irgendwelche Lifestyle-Themen sind, sondern reale, existenzielle Fragen, mit denen die Menschen zu kämpfen haben und die mitunter sehr, gerade in einer belasteten Entwicklungsphase, häufig in der Pubertät, nicht notwendig, aber häufig, besonders herausfordernd sind. Und diese Menschen mit all dem, mit dem sie ohnehin schon zu kämpfen haben, eigentlich eher auf Hilfe, Unterstützung oder zumindest hörende Uhren angewiesen sind, die nicht schon vorverurteilen.

[16:44] Es gab ja in den 1990er Jahren in der amerikanischen Armee so diesen Slogan, don't ask, don't tell. Also frag nicht und sprich nicht darüber. Wieso funktioniert das nicht? Das ist ja sozusagen ein Slogan der Tabuisierung. Man sollte nicht darüber sprechen und insofern ist es auch keine Realität. Also worüber nicht gesprochen werden kann, das ist sozusagen keine gesellschaftliche Realität und entsprechend wenig bewusst sein kann, dafür wachsen, was denn die spezifischen Bedürfnisse sind von Personen. Und deswegen wäre ich da sehr, sehr zurückhaltend bei so einer Forderung. Man sollte nicht darüber sprechen müssen oder nicht darüber sprechen dürfen. Aber ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstanden habe. Vielleicht hast du es ein bisschen anders gemeint. Nein, es ist wirklich so. Inzwischen gibt es auch Studien genau zu dem Fakt und zwar dazu, dass queere Menschen, die in einem Umfeld sind, wo sie nicht über ihre geschlechtliche oder ihre sexuelle Identität sprechen können, wo sie das geheim halten müssen, auch weniger zum Beispiel befördert werden. Sie sind weniger erfolgreich in ihrem Beruf. Und eine These, die es da gibt, ist, dass es halt auch schwierig ist, in Beziehungen zu treten, wenn man sich gar nie wirklich zeigen kann. Wenn ich mir immer überlegen muss, wenn ich jetzt erzähle, dass ich mit meinem Partner wandern war, dann ist sofort Gespräch, welche Sexualität ich habe. Auch wenn ich das gar nicht besprechen wollte, aber einfach, weil ich halt Partner sage und nicht Partnerin als Mann.

[18:07] Diese Distanzierung, dass dann queere Menschen oft auch als distanziert wahrgenommen werden im professionellen Umfeld und darum eben nicht in diese Position kommen, wo sie dann befördert werden oder wo sie auch enge Beziehungen bilden können, die sie auch schützen im Arbeitsumfeld. Es gibt Leute, die sagen, ist mir egal, was du in deinem Bett machst.

[18:25] Ich will es nicht wissen, aber ich habe auch kein Problem damit. Ich frage mich da immer, haben die Leute wirklich kein Problem damit? Und wieso muss man gleich übers Bett nachdenken, sobald es ums Thema Homosexualität

[18:35] oder Bisexualität geht? Ja, das ist eine spannende Ambivalenz. Auf die eine Seite kann gesellschaftliches Verständnis nur wachsen, wenn es Möglichkeiten gibt, wie auch immer die zustande kommen, dass sozusagen aus Erzählung oder aus persönlich geschilderter Erfahrung irgendwie nachvollziehbar und verständlich wird, wie denn Menschen leben, wenn sie so leben. Und das ist ja ganz oft so, dass dann gleich so wahnsinnig intime Fragen gestellt werden. Also ich meine, die Bettpartnerschaften, das ist ja noch vergleichsweise harmlos verglichen mit den aufdringlichen oder sogar eindringlichen Fragen, die Transpersonen sich dann jeweils stellen müssen zur Frage, ja und wie sieht es denn untenrum jetzt aus bei dir und so. Was unglaublich aufdringlich und fast penetrativ aufdringlich ist. Also zeigen wir mal deine Geschlechtsteile. Und auf die andere Seite zeigt das ja gewisserweise auch, dass auf einer relativ tiefen Ebene auch angekommen ist bei Menschen, dass es da um irgendwie ganz grundlegende Fragen der eigenen Identität geht, weil ja gleich der Konnex gemacht wird, hey, wie ist das eigentlich bei mir und wenn das bei ihm oder bei ihr so ist, wie muss ich mir das denn vorstellen und so. Man kann das ja auch positiv lesen, dass das gewissermassen vielleicht überspitztes, sich aufdringlich äusserndes Interesse ist an der Lebensrealität der anderen Person. Und gleichzeitig ist das natürlich extrem positiv.

[19:49] Anspruchsvoll, sich dann immer wieder abgrenzen zu müssen und sagen zu müssen, Entschuldigung, darüber möchte ich jetzt nicht sprechen, das finde ich wahnsinnig intim oder wahnsinnig aufdringlich. Und das ist so die Ambivalenz. Einerseits kann das nur wachsen, wenn irgendwie plastisch vorstellbar wird, was das bedeuten kann, bedeuten könnte. Und man kann das nur lernen von Personen, die so leben.

[20:10] Authentischerweise, oder? Und auf die andere Seite gilt es da aber auch, die Waage zu halten, im Hinblick darauf, dass diese Personen ja sich ohnehin schon exponieren in der Art und Weise, wie sie leben, wenn sie sozusagen offen leben und das nicht verstecken. Und das ist eine ganz schwierige Gratwanderung. Ich habe persönlich auch sehr ein ambivalentes Verhältnis zu diesen Fragen, weil eben, wie du sagst, sie sind einfach total invasiv. Wenn sich zwei Menschen in einer Bar kennenlernen und beide nicht trans sind, dann wird nicht die erste Frage sein, was hast du in den Hosen? Wenn eine Person davon trans ist, dann ist es oft die erste Frage, sobald man weiß, dass das Gegenüber trans ist. Und gleichzeitig verstehe ich auch diese Neugier, weil ich selber ein sehr neugieriger Mensch bin, ich gerne über Themen des Geschlechts und der Sexualität spreche. Ich glaube, das Problem ist ja auch einfach, dass dann Menschen, die eben queer sind, oft auf Sex und Genitalien reduziert werden. Und man ist so viel mehr. Eine queere Lebensrealität bedeutet sowas wie.

[21:03] Kann ich die Person, die ich liebe, heiraten? Oder werde ich offiziell Vater meiner Kinder sein? Oder geht das einfach gar nicht, weil ich trans bin? Oder wie finanzieren wir eine Transition? Wie finanzieren wir eine Namensänderung? Das sind ganz viele solche Lebensrealitätsfragen, die eigentlich viel eine größere Rolle spielen. Das Genital spielt hauptsächlich beim Sex eine Rolle oder wenn man auf Toilette geht vielleicht. Ich glaube, diese Reduktion von queeren Menschen auf das Körperliche und das Sexuelle, das ist so ein bisschen was, was dann den Menschen, die das erleben, die solche Fragen gestellt bekommen, ja auch negativ aufstößt, weil es einfach nicht wirklich abbildet, worum geht es eigentlich.

[21:41] Du hast vorhin gesagt, dass in der Kirche wir eigentlich nicht politisch über diese Themen sprechen sollten. Und ich frage mich, wie geht das? Ich habe das Gefühl, sobald ich was zu queeren Themen sage, dann fühlt es sich für viele Leute sofort politisch an. Damit habe ich gemeint, in der Kirche sollten wir sozusagen nicht zuerst die Frage stellen, welche Politik sollten wir verfolgen, sondern zuerst danach fragen.

[22:06] Was sind das für Menschen und was sind ihre Bedürfnisse? Und an zweiter Stelle zu fragen, wie wird diesen Bedürfnissen im Rahmen unserer Gemeinschaft Rechnung getragen? Und das ist ja dann schon eine politische Frage, oder? Also zumindest eine kirchenpolitische Frage. Ich habe das eher so gemeint, dass die politische Frage, wie positionieren wir uns, also man kann auch sagen, die moralische Frage, findet man das jetzt gut oder schlecht, will man das akzeptieren oder nicht, das sind gleich moralische oder politische Fragen, oder? Und ich glaube, das ist nicht die Frage, die an erster Stelle kommt, sondern wenn man sich Kirche nennt, muss doch das Interesse am Menschen sein, am einzelnen Menschen. Und die Lebensrealität von Menschen ist halt individuell sehr unterschiedlich. Also man fasst sie dann jeweils als Gruppe von Menschen zusammen, aber wie du es gesagt hast, also LGBTIQ sind auch ganz viele unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten. Diese Gruppen setzen sich zusammen aus Menschen, die irgendwo subsumiert werden. Also das Label ist gar nicht unbedingt hilfreich, sondern eigentlich wäre ja wünschenswert, dass wir eine Gemeinschaft bilden können, in der solche Labels keine Rolle mehr spielen.

[23:09] Genau, vielleicht an dieser Stelle muss man sagen, diese Labels sind nur so lange gut und hilfreich, wie sie eben dienen den Menschen und nicht, wenn sie Menschen einschließen. Und ich stimme dir zu, wir sollten irgendwie an einen Punkt kommen, wo die Labels keine Rolle mehr spielen. Im Moment befinden wir uns in einer Welt, wo es Menschen hilft, wenn sie ein eigenes Label haben und wo wir uns auch unter einem gewissen Label oder Menschen, die zur Community gehören, sich unter diesem Label auch zusammentun, um gemeinsam für Gleichberechtigung einzustehen. Aber wenn wir irgendwann in einer Welt leben könnten, wo die Labels egal sind, wo sich niemand outen muss als homosexuell, als bisexuell, als trans oder so, das wäre natürlich genial. Aber das ist im Moment noch so eine Utopie ganz weit weg. Ja, ja. Und deswegen sind sie wahrscheinlich schon noch wichtig. Jetzt, du hast von Bedürfnissen gesprochen und ich glaube...

[23:58] Wenn ich so an meine Gespräche denke, die ich mit Menschen habe, die vielleicht, ich sage jetzt mal plakativ, eine konservativere Haltung haben als ich, dann würden die sagen, ja, aber wir können ja nicht einfach nur bedürfnisorientiert arbeiten, das ist ja total willkürlich und dann nicht mehr gottgemäß. Also wie schätzen wir ab oder wie schätzt du in deinem Amt oder in deiner Funktion in der Kirchenleitung mit deinen KollegInnen ab, welche Bedürfnisse sind legitim oder welchen Bedürfnissen geben wir Raum und wie entstehen zum Beispiel auch Legislaturziele, über die haben wir auch schon gesprochen, weil in diesen Legislaturzielen ist auch sowas wie Teilhabe und dann auch im weiteren Sinne Diversity, Diversität, Vielfalt mit ein Thema, das einbezogen wird, wo ihr sagt,

[24:43] hey, das ist was, dem wir Platz geben wollen in unserer Kirche. Aber wie kommt ihr quasi von diesen Bedürfnissen über eine Wertung hin zu dem geben wir Raum oder dem vielleicht auch nicht? Also wie die Legislaturziele, vielleicht bei diesem technischen Thema zuerst, wie Legislaturziele jetzt in unserem Kontext in der Kirchgemeinde Zürich zustande kommen, das ist relativ schnell beschrieben. Das ist ein Prozess innerhalb der Exekutive, also die sieben Mitglieder der Kirchenpflege plus die vier zugeordneten Pfarrpersonen und die Vertretung des Gemeindekonvents, die zusammen mit der Leiterin der Geschäftsstelle und der Kirchgemeindeschreiberin entwickeln, was sozusagen die inhaltlichen Schwerpunkte der nächsten vier Jahre der Amtsperiode sein sollen.

[25:22] Und ja, in dem Kontext, also wir haben das ja, glaube ich, im Wahlslogan auch so explizit benannt, dass wir uns einsetzen für eine vielfältige Kirche. Und wenn wir so soziologisch unsere Mitgliedschaft ansehen in der reformierten Kirche, dann sind wir natürlich vielfältig insofern, als da ganz viele unterschiedliche Menschen wohnen. Aber wenn wir sozusagen Kategorien ansehen, also sei es nur ethnischer Hintergrund oder so, dann zeigt sich, dass die reformierte Kirche oder die reformierte Kirchgemeinde eine relativ homogene Gemeinschaft ist. Deutsch-Schweizer, Weiß, so gut wie kein Migrationshintergrund, wie man so schön sagt und so weiter. Es ist aber unser Anspruch, eigentlich eine Gemeinschaft zu sein, die offen ist für alle Menschen. Und das ist meine Haltung, wirklich alle Menschen, sogar unabhängig davon, was sozusagen die religiöse Glaubenstradition ist, in der man aufgewachsen ist, sofern man sich mit dem identifizieren kann, was uns als Gemeinschaft, als Kirche ausmacht.

[26:25] Im Hinblick auf die Frage, wo sind denn irgendwie Grenzen oder was sind die Kriterien, die man da anlegt? Also ich meine, es gibt da unterschiedliche Haltungen, aber aus der Kirchenleitungsperspektive.

[26:35] Wir sind dafür verantwortlich, die Gemeinschaft und die Organisation dieser Gemeinschaft so zu entwickeln, dass sie unserem Bild von Kirche entspricht. Und da würde ich sagen, es ist sinnvoll, wenn man sich auch irgendwo an theologischen Kriterien orientiert. Und da könnte es beispielsweise hilfreich sein, sich auf Texte zu beziehen, die genau diesen Geist der Offenheit und der Vielfalt und der Freiheit zum Ausdruck bringen. Also prominente Textstellen wären da beispielsweise Paulus' Brief, also erster Brief an die Korinther, Kapitel 6, Vers 12, wo er an eine Gemeinde mit einer sehr diversen, heterogenen Gemeindestruktur mit vielfältigen, unterschiedlichen Gruppierungen schreibt, ja, streitet doch nicht darüber, was jetzt der richtige Weg ist, sondern ihn dann mit auf den Weg gibt. Grundsätzlich ist doch zunächst mal einfach alles erlaubt. Das ist das Evangelium der Freiheit, oder?

[27:28] Aber entscheidend ist doch die Frage, was hilft zum Guten? Und zwar insofern, als es hilft, eine Gemeinschaft aufzubauen, in der eben Menschen selbst erbaut werden und wachsen können in ihrer Art und Weise, wie sie leben. Und an die Gemeinden in Galatien schreibt er ja auch, was sozusagen Ausdruck christlichen Ethos in seiner Perspektive sei, was so eine Gemeinschaft ausmacht. Nämlich, formuliert das dann so, einer die Last des anderen trage. Das sei sozusagen Ausdruck des Gesetzes Christi, wenn man so lebt. Und das entspricht ja weitgehend dem, was auch in Evangelien, also Matthäus und Lukas, dann transportiert wird auf die Frage, was denn das höchste Gebot sei. Das Doppelgebot der Liebe. Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.

[28:13] Und insofern ist das sozusagen die grundlegende Leitperspektive bei unserer Frage, ja, wie entwickeln wir sozusagen unsere Kirchenpolitik, die sich dann niedergießt oder eingegossen wird in Legislaturziele, in Visionen, in Leitbilder und so weiter. Wir wollen offen sein, für Menschen Raum bieten, für vielfältige Formen der spirituellen Praxis, der Glaubensgestaltung, der Glaubenspraxis. Zum Beispiel gibt es ja auch das Projekt Mosaik, in dem auch ich aktuell arbeite. Und da habe ich schon die Kritik gehört, hey, das ist doch quasi ein exklusiver Verein. Ist das nicht genau gegenläufig zu dem, dass wir eine offene Kirche sein wollen, wo Menschen zusammenkommen? Also sollte man nicht das Thema einfach integrieren in alle Kirchgemeinden oder in alle Kreise jetzt, im Fall von Zürich? Wie ist das aus deiner Sicht? Ja, das knüpft natürlich an an die Diskussion, die wir vorher hatten. Wie hilfreich sind Labels und brauchen wir Labels? Und ich glaube, wir sind in einer Situation derzeit in der Gesellschaft.

[29:13] Wo das immer noch wichtig ist. Man kann natürlich sagen, mit historischem Blick, das habe ich oft gehört, wir als Reformierte, wir sind ja offen. Bei uns können alle kommen und das stimmt ja auch. Die erste Segnung oder Hochzeitsfeier eines gleichgeschlechtlichen Paares in der Schweiz fand 1996 in der Heiliggeistkirche in Bern statt. Das ist im 4. Jahrhundert, bevor das Staat die Ehe für alle eingeführt hat.

[29:38] Und eigentlich war das ein Trauritual. Man hat es nicht so genannt, um sozusagen dem Staat nicht vorzugreifen, weil nach reformierter Tradition geht sozusagen die reformierte Hochzeit dem zivilrechtlichen Trauritual nach. Aber theologisch war das dasselbe. Es war eine Segnungsfeier. Und eine Trauensfeier ist nichts anderes als eine Segnungsfeier. Sie unterscheidet sich nur in einem Punkt, der aber nicht theologisch ist, sondern rein rechtlich. Da geht nämlich eine rechtliche Trauung voraus. Aber es ist eine Siegungsfeier. Insofern kann man sagen, ja gut, wir waren ja schon immer offen und es braucht nicht solche Sondergemeinschaften. Man kann es aber auch anders sehen. Auf die andere Seite zeigt ja genau dieses Beispiel der Ritus, der da zelebriert wurde. Menschen sind bei uns willkommen in unseren Traditionen, Gefässen, Riten, solange sie sich dem fügen, was bereits etabliert war. Was haben die nämlich gemacht? Sie haben geheiratet. Also sozusagen höchster Ausdruck irgendwie bürgerlicher Zweisamkeit, heteronormativer bürgerlicher Zweisamkeit, oder? Und wenn man sich da fügt, und das war ja auch in den Communities lange umstritten, ob man jetzt diese Ehe für alle will oder nicht, weil man fügt sich sozusagen dem dominierenden gesellschaftlichen Narrativ und gleichzeitig ist es aber auch, es ist halt immer ambivalent, es kommt immer darauf an, wie man es deutet. Gleichzeitig ist es auch Ausdruck einer zunehmenden Akzeptanz von unterschiedlichen Lebensformen. Und dann kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu.

[31:02] Dass nämlich möglicherweise in solchen Spezialkommunities, sage ich jetzt mal ganz ungeschützt, es einfacher ist, über Themen zu sprechen, die anderen auch wichtig sind.

[31:18] Und deswegen sind sie wertvoll. Und es geht ja nicht darum, sich abzuschotten, sondern es geht ja eher darum, und es finden ja zahlreiche Formen der Interaktion über sozusagen diese Grenzen hinweg statt, sondern es geht darum, Räume zu schaffen, an denen Menschen ganz unterschiedlicher Art und Weise religiöse Beheimatung finden können. Und Räume finden können, in denen sie, also Schutzräume auch, in denen sie feiern können und die Gabe des Lebens irgendwie feiern können und so. Und wir haben ja mittlerweile oder sind daran zu lernen, dass auch das, was wir meinen, sei für alle, also der Sonntagmorgen-Gottesdienst, der ja für alle da ist in seiner traditionellen liturgischen Form und so weiter und so fort, möglicherweise ja auch nur eine bestimmte Feierform eines bestimmten gesellschaftlichen Milieus ist, das über eine lange Zeit in unserer Kirche historisch prägend war, aber möglicherweise eben nur eine ganz bestimmte und vielleicht auch eher selektive Form des Feierns ist. Und zu lernen, dass es möglicherweise auch ganz andere Formen der Gemeinschaftsbildung und des Feierns gibt, ich glaube, das ist eine Herausforderung, wo wir erst am Anfang stehen.

[32:25] Du hast den sicheren Raum angesprochen. Ich möchte das einfach noch ein bisschen erklären. Der sichere Raum oder Safe Space oder Safer Space, also ein sichererer Raum, Das wird oft benutzt in der Community als Begriff für einen Ort, für eine Community, für eine Gruppe, in der man sich eben nicht so fürchten muss, dass man Aussagen hören muss, die einen verletzen oder Fragen gestellt bekommt, die vielleicht als unsensibel wahrgenommen werden. Also eine Community, ein Raum, in dem Leute gewisse gemeinsame Vorannahmen haben und ein gewisses gemeinsames Vorwissen, sodass man sich nicht immer erklären muss. Ich glaube, die Mosaic Church, die Kirche, die aktuell von Priscilla Schwendingmann als Pfarrerin geleitet wird, ist genau das für queere Menschen. Eben dieser sichere Raum, bei dem sie wissen, ich gehe da in die Kirche und ich muss keine Angst haben, dass jemand vorne sagt in der Predigt.

[33:19] Das Homosexualitätssünde ist, weil das was ist, was viele queere Menschen in ihren Kirchgemeinden oder in ihren religiösen Erfahrungen vielleicht auch schon gehört haben und für sie sehr herausfordernd war. Und so kann genau das stattfinden, was du sagst, nämlich eine Beheimatung in der Kirche, einen Ort, wo diese Menschen feiern können. Gut, aber wenn ich dann ganz kurz, ich würde jetzt mal die Hand ins Feuer halten dafür, zu behaupten, dass in keiner unserer Kirchen in der Stadt Zürich, also in der Kirchgemeinde Zürich, Menschen Angst haben müssten davor, dass die Person, die da vorne steht und predigt, ihr an den Kopf wirft, Homosexualität oder irgendeine andere Lebensform sei Sünde. Also das Beispiel ist gut, aber ich glaube, das würden wir auch an anderen Orten bieten.

[34:08] Das sicher, ja, aber es sind diese gemeinsamen Vorannahmen. Es kann auch ganz harmlos sein, man nennt sowas auch Microaggression, also kleine Aggression. Und ich glaube, das erleben queere Menschen oft. Das kann sowas sein, wie dass ein schmules Pärchen in der Kirche kommt und dann in aller Liebe und Interesse gefragt wird, wer von euch ist denn die Frau in der Beziehung? Genau, ich glaube, solche Realitäten, solche subtilen Formen, die er... Ja, das ist halt in dem Sinne, du sagst, Microaggressions sind auch subtile Formen von Diskriminierung, oder? Genau für solche Formen ist das natürlich hilfreich. Und was ich auch gehört habe in einem Vortrag, den ich mal halten durfte bei

[34:42] Transgender Network Switzerland, also bei der Organisation in der Schweiz für Transmenschen. Ich habe da erzählt, dass wir eine Namenssegnungsfeier für Transmenschen und non-binäre Menschen organisieren. Und da hat jemand gesagt, ich wusste immer, dass ich akzeptiert bin in der reformierten Kirche.

[35:00] Aber heute habe ich mich zum ersten Mal willkommen geheißen und eingeladen gefühlt. Und ich glaube, das ist sowas, was genau mit solchen Projekten auch passieren kann, dass sich Leute, die sich vielleicht nicht eingeladen fühlen, eingeladen fühlen können. Und wir haben das ja auch mit anderen Themen. Wir haben einen Fachbereich für Menschen mit Demenz. Wir haben Migrationskirchen. Und wie du sagst, wir schauen auf die Bedürfnisse der Menschen und schauen, wie können wir denen das Gefühl geben, hey, unsere Kirche, dieser Leib Christi, ist auch für euch gedacht. Ihr seid mit Teil von diesem Leib und nicht einfach nur akzeptiert, dass ihr auch mal Hallo sagen dürft. Genau, das ist ganz wichtig. Also es geht darum, dass Menschen sich willkommen geheißen fühlen können. Und dafür sind solche Formen extrem wichtig. Es gibt sie, wie du sagst, auch in ganz anderen Bereichen. Und ich glaube, da dürfen wir auch den Mut haben, uns noch viel stärker in diese Richtung zu entwickeln. Und das Ziel wäre, so wie bei den Labels, dass wir irgendwann sowas nicht mehr brauchen. Dass viele Menschen in jede Kirche gehen können und wissen, ich bin hier nicht

[35:58] nur akzeptiert, sondern willkommen. Das ist eine Utopie? Oh, glaube ich nicht. Ein Wunsch, ein Ziel, auf das man hinarbeiten kann. Eine Utopie ist ja ein Raum, ein Ort, der nirgendwo ist und ich würde schon behaupten, dass wir da hinkommen können. Das hoffe ich sehr. Und da wäre auch meine zweitletzte Frage an dich, nämlich wann müssen wir nicht mehr über LGBTIQ Themen sprechen in unserer Kirche? Wann können wir sagen, das Thema, das haben wir gegessen?

[36:26] Ich weiss nicht, wann das sein wird. Möglicherweise wird das auch nie so sein. Aber es wird sehr viel mir zur Normalität gehören. Also ich habe das ja selbst erlebt in meiner eigenen Biografie. Jetzt bin ich irgendwie so um die 40.

[36:37] Als ich so in der Pubertät war, da war das noch in ganz vielen sozialen Kontexten. Also jetzt nicht nur in der Kirche, sondern ganz allgemein so, das ist aber eigenartig und komisch und so, obwohl man da schon relativ weit war. Also das war ja vor 25 Jahren.

[36:54] Und später habe ich dann, so irgendwie vor 15 Jahren, habe ich dann unterrichtet in der Berufsschule und hatte da junge Erwachsene, so zwischen 15 und 18 Jahren. Und dann gemerkt, das sind Themen, die reden da in einer Selbstverständlichkeit drüber, das spielt für die eigentlich keine Rolle, das sind mehr so, Das gehört sozusagen zur Alltagssprache, zum alltäglichen Spiel, wie man sich neckt und so weiter und so fort und hat gar nichts mehr von diesem aggressiven oder ausgrenzenden, wie ich das noch erlebt habe. Und ich glaube, wir sind auf dem Weg, uns dahin zu entwickeln, dass das zur Alltagsnormalität wird und auch kein grosses Thema mehr ist, sondern das Bewusstsein wächst dafür, dass das halt unterschiedliche Lebensrealitäten sind. Und das sind halt Prozesse, die dauern, weil es jedes Mal eine Generation braucht, bis sozusagen die Nächsten dran sind, die stimmenangebend sind. Aber das, was sie jetzt politisch da erleben, mit der politischen Instrumentalisierung, ich glaube, das sind nur noch Scheinkämpfe, die letztlich so in 15 Jahren niemanden mehr interessieren werden. So ein bisschen wie das vor 20, 25 Jahren Menschen noch gesagt haben, Homosexualität geht gar nicht und jetzt ist halt nicht mehr Homosexualität, sondern jetzt ist es Transgeschlechtlichkeit oder Non-Binarität, die gar nicht geht. Aber Homosexualität, naja, damit hat man sich jetzt halt angefreundet, dass es so eine Entwicklung auch gibt. Was würdest du queeren Menschen raten in der Kirche und was würdest du Menschen raten, die keinen Bezug haben zu queeren Themen?

[38:23] Also Menschen, die keinen Bezug haben zu queeren Themen, würde ich raten, sich dafür zu interessieren und versuchen, sich zu informieren. Es ist ja heute so einfach, im Netz, in sozialen Medien, überall Informationen zu finden und insbesondere auch Lebensrealität irgendwie in Dokumentation oder in Porträts wahrnehmen zu können. Und Menschen aus dem LGBTIQ-Spektrum würde ich raten, also jetzt in unserem Kontext der reformierten Kirche, selbstbewusst aufzutreten und sich als Teil dieser Gemeinschaft zu verstehen, die Rechte haben und die das Recht haben mitzuwirken und diese Gemeinschaft auch in ihrem Sinne zu gestalten. Denn man ist nicht Angehöriger einer Minderheit, der oder die in einer Bittstellung ist, sondern man darf sich als lebendigen Teil dieser Gemeinschaft sehen, die nur darauf wartet, dass sich Menschen auch engagieren und ihren Teil zum Aufbau dieser Gemeinschaft beitragen möchten.

[39:22] Das ist sehr schön, ein total ermutigendes Statement. Noch nicht ganz dein Schlussstatement, weil ich habe noch eine Frage dabei, die ich allen Leuten auf irgendeine Art und Weise stellen will. Und zwar ist das die Frage, was wünschst du dir für queere Menschen in unserer Kirche? Und vielleicht nochmal angehängt an die Frage, was ist die Rolle von der reformierten Kirche im Thematisieren von LGBTIQ-Lebensrealitäten und Themen? Also ich glaube, eine besondere Herausforderung ist derzeit, Also ich würde mal sagen, das Thema Homosexualität, das ist weitgehend gegessen und akzeptiert. Es gibt da noch so Kleingemeinschaften, wo es dann irgendwie strittig sein kann, ob man jetzt bei einer Trauung eines homosexuellen Paares jetzt das Kirchgemeindehaus oder die Kirche zur Verfügung stellen will oder nicht. Aber ich glaube, auf dem Gebiet der Stadt Zürich ist das sowieso kein Thema und das eher so in Randgebieten, würde ich sagen. Und?

[40:13] Ich glaube, die grosse Herausforderung derzeit ist noch immer sozusagen das

[40:17] Lernen zu verstehen, was es bedeutet, mit einer transidenten Geschlechtsidentität zu leben. Und dafür wünschte ich mir noch mehr Aufmerksamkeit, insbesondere in der Kirchenleitung. Und ich glaube, dafür braucht es auch Sensibilisierung. Und ich glaube, das Thema muss auch implementiert werden in der Pfarrausbildung und insbesondere im Seelsorgekontext. Und zwar einerseits in der Seelsorge liegt es ja auf der Hand, weil es darum geht, irgendwie auch Erfahrung zu haben und hellhörig zu werden auf die spezifischen Herausforderungen solcher Situationen. Aber auch in der Pfarrausbildung ganz allgemein, weil es ja auch darum geht, sich zu reflektieren im Hinblick auf das eigene Selbstverständnis, denn die Geschlechterbinarität, das ist etwas. Also einerseits entspricht das ja ganz, ganz vielen Menschen, einer Mehrheit der Gesellschaft, die Auffassung, dass es zwei Geschlechter gibt und dass das sozusagen das Richtige sei. Und andererseits wird das in allen möglichen Formen des Rechts.

[41:14] Der Ethik, der Kultur, der Geschichten, die wir erzählen, immer wieder kulturell eingeübt. Ich meine auch die Texte unserer Tradition, die normativen Texte oder die biblischen Texte, die leben weitestgehend von dieser Auffassung. Und insofern ist es auch sehr wichtig, dass Pfarrpersonen ein Bewusstsein dafür haben und sich erarbeiten, dass bestimmte Auffassungen über Geschlechtsrealitäten heute nicht mehr zeitgemäß sind, beziehungsweise sie sich möglicherweise selbst im Weg stehen mit unbedachten Äußerungen, mit unbedachten Formulierungen, die sie wählen im Rahmen ihrer Gespräche, im Rahmen ihrer Predigten, im Rahmen ihrer öffentlichen Auftritte, sei es bei Feiern, Festen und so weiter und so fort. Das ist wirklich ein Thema, dafür muss die Sensibilität noch stark wachsen und ich glaube, dafür wäre auch deine Stelle ein, könnte einen wichtigen Beitrag leisten, gerade weil du diese spezifische persönliche Erfahrung hast und mittlerweile auch einiges an Erfahrung mitbringst im Umgang mit Menschen, die in unserer Kirche arbeiten und den Situationen und Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind.

[42:11] In den ersten beiden Folgen des Queeren 1x1 haben wir erfahren, dass LGBTIQ-Plus-Themen für uns alle von Bedeutung sind, da sie dazu beitragen können, eine Gesellschaft zu gestalten, die mehr Raum für alle Menschen schafft. Durch die Diskussion über Themen wie Consent und die Öffnung von Geschlechternormen können wir Regelungen infrage stellen, die nicht nur für Menschen innerhalb, sondern auch außerhalb der queeren Community einschränkend sind. Dabei geht es nicht darum, jemanden zu verurteilen oder als schlechten Charakter darzustellen, sondern vielmehr darum, Sensibilität zu entwickeln. Gerade auch für Themen, die uns persönlich nicht direkt betreffen. Denn wir wissen nie, ob wir im Familienkreis, am Arbeitsplatz,

[42:51] in der Kirche, Schule oder anderswo auf Menschen treffen, die unter Diskriminierung leiden. Durch eine kleine Geste können wir diesen Menschen die Tür öffnen, die Tür sich anzuvertrauen oder einfach mal zur Ruhe zu kommen. Ohne Absprache kamen Anna und Michael zu den gleichen Schlussfolgerungen. Empathie, Sensibilität und die Offenheit, interessiert aufeinander zuzugehen, können der Schlüssel zur Veränderung sein. Eine Veränderung für uns alle.

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